Querschnittslähmung und die Kunst, neu zu starten
Heute vor 35 Jahren: Peter Whitmore ist als Soldat der britischen Armee in Hameln stationiert. Jeden Mittwoch im Sommer genießt er mit seinen Freunden die Zeit am See. Bis ein Sprung ins Wasser sein Leben von jetzt auf gleich verändert. An einer Stelle, die der durchtrainierte Engländer für ungefährlich hält, prallt er unglücklich auf. Die niederschmetternde Diagnose: Querschnittslähmung! In unserer Zeitung erzählt der Gewinner des VdK-Preises „vilmA 2023“ von schwierigen, emotionalen Momenten und an welchen Stellschrauben für eine bessere Teilhabe in Deutschland gedreht werden muss.

Eine Woche vor dem Unfall spielt Peter Whitmore noch Rugby. Vermutlich liegt durch einen Schlag eine vorherige, unentdeckte Verletzung vor. „Bis heute ist das Spekulation. Es hat an der Tragödie nichts geändert“, sagt Peter Whitmore. Die verheerende Nachricht erreicht auch seine Frau Christiane. Erst zehn Tage vorher bringt sie den gemeinsamen Sohn zur Welt.
„Eine richtige Katastrophe. Unsere Pläne waren komplett hinüber. Wir haben sogar über eine Trennung nachgedacht“, erinnert sich Peter Whitmore, „in der kommenden Zeit habe ich mir immer wieder die Frage gestellt: „Wie geht’s denn jetzt weiter, was soll ich überhaupt machen?“
Zunächst diktiert das britische Regiment alles vor. Militär-Krankenhaus, Reha-Maßnahmen, mal in Deutschland, mal in England. „Die Verantwortlichen wussten damals gar nicht, wie sie mit mir und der Situation umgehen sollten. Sie waren auf so ein Schicksal nicht eingestellt“, verrät der in Sheffield geborene Peter Whitmore. Über Veteranenvereine und einen Pastor erhält er zum Glück sämtliche Hilfe, etwa bei Anträgen.
Die Frau als Stütze
Peter Whitmore lässt sich nicht entmutigen. Willenskraft erhält er vor allem durch seine Frau, “ohne sie hätte ich das alles nie geschafft.“ Der zweifache Familienvater, 1989 wurde eine Tochter geboren, lernt nicht nur immer besser die deutsche Sprache, sondern auch mit der Querschnittslähmung zu leben.
In Hamburg schließt er eine Ausbildung zum Datenverarbeitungs-Kaufmann ab, arbeitet später bei verschiedenen IT-Unternehmen. Nebenbei erwirbt Peter Whitmore an der Universität in Liverpool den Master of Science im IT-Bereich. Inzwischen leitet er bei der Phoenix Contact in Blomberg eine große Abteilung, die aus rund 50 Softwareentwicklern, Designern, Betriebswirten und Ingenieuren besteht.
Simple Lösungen
Eine positive Haltung hat ihm geholfen, sein Leben zu meistern. Hindernisse begegnen Peter Whitmore allerdings auch – vor allem, wenn er unterwegs ist. „Ich nenne es Routenoptimierung“, scherzt der IT-Experte ein wenig. Aber es nervt ihn schon, wenn er in einem Geschäft Umwege in Kauf nehmen muss, weil alles eng und zugestellt ist:
„Ich nehme mich wegen meiner Behinderung nicht wichtiger als andere, aber nach dreieinhalb Jahrzehnten im Rollstuhl wünsche ich mir mehr Pragmatismus. Stichwort Barrierefreiheit. Warum muss in diesem Land alles einer komplizierten DIN-Norm entsprechen? Manchmal reicht es schon, wenn eine Tür zum WC breiter gemacht wird.“
Auch für den inklusiven Arbeitsmarkt fordert Peter Whitmore ganz simple Lösungen: „Firmen müssen mehr Homeoffice anbieten. Das würde vieles erleichtern. Menschen mit Behinderung können wirklich Großartiges leisten.“ Stimmt!