„Meine Motivation: Jeden Tag für ein besseres Wir zu sorgen“

Probleme mit Behörden? Dann kann sich jeder Mensch in Nordrhein-Westfalen kostenlos und unbürokratisch mächtige Unterstützung holen. Der Petitionsausschuss des Landtags versteht sich als Anwalt der Bürgerinnen und Bürger. Dessen Vorsitzender Serdar Yüksel erzählt im Interview mit der VdK-Zeitung, welch spannende und ernste Fälle täglich auf seinem Schreibtisch landen.

Serdar Yükzel sitzt freundlich lächelnd an einem Tisch im Gespräch mit einer Frau, die nur von hinten zu sehen ist.
Serdar Yüksel leitet seit 2017 den Petitionsausschuss im NRW-Landtag, seit 2010 ist er Mitglied des Landtags.

„Es geht um das Wohl der Bürgerinnen und Bürger, um Gerechtigkeit, nicht um Partei-Interessen.“

Wie oft wird der Petitionsausschuss pro Jahr in Anspruch genommen?

Serdar Yüksel: Allein im Jahr 2024 wurden wir in rund 5.000 Fällen zurate gezogen. 

Mit welchem Erfolg?

Serdar Yüksel: Rund 30 Prozent aller Fälle gehen durch die bloße Einreichung einer Petition positiv aus. Wenn ein Erörterungsverfahren durchgeführt wird, liegt die Erfolgsquote für die Petentinnen und Petenten bei gut 50 Prozent.

Was passiert mit den Angelegenheiten, bei denen Sie nicht helfen konnten?

Serdar Yüksel: Das würde ich anders formulieren. Oftmals bekommen die Petentinnen und Petenten im Rahmen eines Verfahrens auch einen anderen Weg aufgezeigt, um ihrer Sache gerecht zu werden. Oft gelingt es etwa im Rahmen des Verfahrens, Entscheidungen noch einmal zu hinterfragen und zu erklären. Es wird dann deutlicher, dass hinter den Entscheidungen kein kafkaeskes Konstrukt, sondern ein fundiertes Urteil steckt. Das gibt den Menschen das Gefühl, ernst genommen zu werden. In Zeiten, in denen die Fliehkräfte in der Gesellschaft immer größer werden, ist das wichtig: Menschen mitnehmen, erklären, aufzeigen, dass der demokratische Rechtsstaat funktioniert, auch wenn nicht alle immer gewinnen können.

Schildern Sie mal einen Fall, der Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Serdar Yüksel: Ich erinnere mich immer wieder an einen 59-jährigen Fliesenleger. Er wurde schwer lungenkrank, konnte seinen Job nicht mehr machen, ist in Hartz 4 bzw. Bürgergeld gerutscht. Dadurch wurde die Wohnung, in der er lebte, zu groß. Ein Umzug kam aufgrund der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt und seiner gesundheitlichen Situation nicht infrage. Nach sechs Monaten zog ihm das Amt dann anteilig die Miete ab – er hätte ja laut Amt längst in eine kleinere, günstigere Wohnung umziehen können. Dadurch war er gezwungen, am Ende von 90 Euro im Monat zu leben, obschon er Belege einreichte, dass er sich um eine kleinere Wohnung bemühte. Wir haben dann kurzfristig erörtert und seine Anstrengungen konstatiert. Daraufhin stellte das Amt die Angemessenheit der Wohnung fest. Zwei Monate nach der Erörterung ist der Mann gestorben. Das bewegt mich bis heute, und ich bin froh, dass wir ihm in der letzten Phase seines Lebens noch schnell helfen konnten. Vier Tage nach Eingang seiner Petition fand der Erörterungstermin bereits statt.   

Größtenteils handelt es sich um Anliegen zum Sozialrecht. Worum geht es dabei genau?

Serdar Yüksel: Es geht um Schwerbehindertenparkplätze, um Einstufungen zum Pflegegrad, um die Bewilligung von Heil- und Hilfsmitteln, um die Situation pflegender Angehöriger, um Wohngeldfragen und noch viel mehr. Es geht um all die Fragen, die wirklich wichtig sind im Leben, im Alltag der Menschen.

Wie viel Zeit nimmt in der Regel ein Fall in Anspruch?

Serdar Yüksel: Ein Verfahren dauert im Schnitt drei Monate. Wir lassen uns Akten schicken, prüfen den Sachverhalt, beziehen Ämter und Behörden mit ein, die Stellungnahmen abgeben. Wenn es darum geht, Härte zu vermeiden, sind wir auch schneller als jedes Gericht. Und wichtig: Jedes Verfahren ist kostenlos.

Ihre soziale Ader haben Sie schon als kleiner Junge auf dem Watermanns Weg in Bochum entdeckt. Davon berichten Sie in einem Podcast bei RTL+. Was VdK-Mitglieder besonders interessieren würde – ein Kriegsversehrter spielte dabei eine große Rolle. Erzählen Sie doch bitte!

Serdar Yüksel: Tatsächlich! Ein Mann aus der Nachbarschaft, Jahrgang 1914, kriegsgezeichnet, konnte nur wenige Meter gehen und war auf den Rollstuhl angewiesen. In einer Zeit, in der mein Großvater in der Türkei lebte, war das mein Ersatz-Opa. Auch ihm fehlte es an familiärer Unterstützung. Ich habe mich um ihn gekümmert und er sich um mich. Über ihn lernte ich erstmals, wie schwer die deutsche Geschichte zu tragen ist.

Sie sind gelernter Krankenpfleger und studierter Gesundheitsmanager. Wie sind Sie letztlich doch in der Politik gelandet?

Serdar Yüksel: Ich bin seit meinem 15. Lebensjahr politisch aktiv. Ich wollte mich schon immer engagieren, für die Gesellschaft, für unsere Demokratie. Als Kind türkischer Einwanderer musste ich früh erleben, wie unser Zusammenleben von rechtsradikalen Kräften bedroht wird. Da gibt es Parallelen zur heutigen Zeit. Der Einsatz für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung, für unser soziales Miteinander, ist meine Motivation, auf der politischen Bühne jeden Tag für ein besseres Wir zu sorgen.

Im Ausschuss sitzen Mitglieder aller Fraktionen. Herrscht hier Einigkeit oder gibt es das übliche Parteigezänk?

Serdar Yüksel: Im Gegenteil: NRW stellt ein Novum dar. Alle Beschlüsse des Petitionsausschusses werden einstimmig gefasst. Das ist der Geist unserer Arbeit. Da wache ich auch als Vorsitzender mit Argusaugen drüber. Es geht um das Wohl der Bürgerinnen und Bürger, um Gerechtigkeit, nicht um Parteiinteressen.

Unter den Abgeordneten wird Ihr Ausschuss „Kummerkasten des Landtags“ genannt. Finden Sie die Bezeichnung treffend?

Serdar Yüksel: Ja, denn viele Menschen kommen mit ihrem Kummer zu uns. Aber wir sind nicht nur der Kummerkasten, sondern es ist das verfassungsgemäße Recht in einer Demokratie, sich mit unterschiedlichen Anliegen an die Parlamente zu wenden. Die Menschen kommen nicht als Bittsteller, sondern mit dem Gesetz unterm Arm zu uns. Selbstbewusst, wie sich das in der Demokratie gehört.

Zum Schluss der Blick nach vorn. Worin liegt Ihre Motivation im September 2025 für den Deutschen Bundestag zu kandidieren?

Serdar Yüksel: Wir stehen vor einer Wahl, die wegweisend sein wird. Die Probleme und Herausforderungen in unserem Land sind groß wie lange nicht. Die Zukunft des Industriestandorts Deutschlands, die Verzahnung von Wirtschaft mit Wissenschaft und technologischem Fortschritt, der große Dienstleistungssektor mit fairen und guten Löhnen, Fragen von Kinder- und Altersarmut: All das sind Themen, bei denen ich mit an Lösungen arbeiten möchte.

Das Interview führte Tobias Zaplata