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„Wir sind die Stimme des sozialen Gewissens“ - Interview mit unserem VdK-Präsidenten Horst Vöge

Soziale Gerechtigkeit braucht eine starke Stimme – und der Sozialverband VdK erhebt sie seit Jahrzehnten mit Nachdruck. Beim diesjährigen Kleinen Landesverbandstag in Münster kommen Delegierte aus ganz NRW zusammen, um über aktuelle sozialpolitische Herausforderungen zu diskutieren und die Weichen für die Zukunft des Verbands zu stellen. An der Spitze: der VdK-Präsident, Horst Vöge. Im Interview spricht der Dinslakener über die kommenden Aufgaben und die zentralen Forderungen an die Politik.

VdK-Landespräsident Horst Vöge steht in Anzug und mit lila Krawatte an einem Rednerpult mit VdK-Logo und spricht lächelnd ins Mikrofon. Im Hintergrund erkennt man Blumengestecke vor einem blauen Bühnenvorhang.
Horst Vöge leitet seit 2016 den VdK NRW und engagiert sich zudem als Vize-Präsident des VdK Deutschland. © www.eventfotograf.in

Herr Vöge, der Kleine Landesverbandstag findet Anfang Juli in Münster statt – was verbinden Sie persönlich mit der Stadt?
Horst Vöge: Mit Münster verbinde ich als Erstes unseren Kreisverband und unsere Rechtsabteilung. Hier wird hervorragende Arbeit geleistet. Ich schätze diese geschichts- und kulturträchtige Stadt sehr und habe sie schon mehrfach besucht. Münster zeichnet sich durch eine besonders lebendige Kommunalpolitik aus – hier wird direkt vor Ort viel für die Menschen bewegt. Und ja, als regelmäßiger Tatort-Zuschauer habe ich natürlich auch die TV-Kommissare Thiel und Boerne im Kopf.

Welche Themen bewegen den VdK NRW nach Bildung der neuen Koalition?
Die neue Koalition hat viel Arbeit vor sich. Das zentrale Stichwort lautet Reformen. Besonders im Bereich der Rente besteht dringender Handlungsbedarf. Das Rentenniveau bis 2031 mit 48 Prozent zu sichern, greift zu kurz – wir brauchen eine langfristige Lösung. Dazu müssen auch Beamte, Selbstständige und Politiker in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, um das System zu stabilisieren. Ein zweiter Schwerpunkt ist die Pflege. An dieser Stelle bleibt der Koalitionsvertrag schwammig. Statt einer klaren Strukturreform wurden zwei Kommissionen eingesetzt. Wie lange es dauert, bis diese Ergebnisse liefern, wissen wir aus der Vergangenheit nur zu gut.

Dabei führt Pflege immer häufiger auch in die Armut!
Richtig, in erster Linie ist die stationäre Pflege betroffen! Allein die hohen Eigenanteile für Pflegeheimplätze, die in NRW im Schnitt bei rund 3.200 Euro im Monat liegen, stellen eine erhebliche Belastung dar. Diese Summe erschreckt mich jedes Mal aufs Neue. NRW ist hier bundesweit trauriger Spitzenreiter. Wir fordern deshalb eine Reform der Pflegeversicherung, bei der Heimbewohner nur noch die Kosten für Unterkunft und Verpflegung bezahlen. Gleichzeitig müssen pflegende Angehörige finanziell mehr abgesichert werden, zum Beispiel durch die Einführung eines Pflegegelds. Und Entlastungsangebote müssen ausgebaut werden, um Pflege und Beruf besser vereinbaren zu können.

In NRW stehen im September Kommunalwahlen an. Was macht diese Wahl so bedeutsam?
Kommunalwahlen sind für uns als Sozialverband von großer Bedeutung – denn vor Ort wird entschieden, wie soziale Gerechtigkeit und Teilhabe konkret umgesetzt werden. Ob es um bezahlbaren Wohnraum, gute Pflegeangebote oder eine wirklich barrierefreie Infrastruktur geht: Die Kommunen tragen dafür die Verantwortung. Gerade bei der Barrierefreiheit sehen wir noch erheblichen Nachholbedarf – sei es im öffentlichen Nahverkehr oder in Behörden. Deshalb ist es auch wichtig, dass viele VdK-Ehrenamtliche in ihren Städten und Gemeinden den Dialog mit der Politik suchen. Oft kennt man sich persönlich – das schafft Vertrauen und ermöglicht Verbesserungen für die Bürgerinnen und Bürger. Grundsätzlich appelliere ich an alle: Nutzen Sie Ihr Wahlrecht!

Mit der AfD erhält bei den Wählerinnen und Wählern eine Partei, die Inklusion ablehnt und das Pflege- und Gesundheitssystem privatisieren möchte, immer mehr Zuspruch. Woran liegt das und wie können etablierte Parteien das verlorengegangene Vertrauen zurückgewinnen?
Viele Menschen wählen die AfD aus Protest – nicht, weil sie von deren politischen Konzepten überzeugt sind. Ich erlebe die AfD häufig als eine Partei, die lautstark polarisiert. Das spricht manche an, löst aber nicht die Probleme. Das Programm der AfD enthält zahlreiche Positionen, die mit den Grundwerten des VdK unvereinbar sind. Und wenn der Verfassungsschutz die Partei als offenbar gesichert rechtsextrem einstuft, sehe ich hier keine Grundlage für einen demokratischen Austausch. Die etablierten Parteien wiederum müssen eine Sprache finden, die die Menschen wieder erreicht und die verständlich ist. Früher waren Vereine ein wichtiges Bindeglied zwischen Bevölkerung und Politik – das erleben wir heute nur noch selten. Gerade Kommunalpolitiker sind nun gefragt, wieder stärker auf die Menschen zuzugehen und den direkten Austausch zu suchen.

Stichwort Herausforderungen! In NRW steigt die Zahl der Menschen im Rentenalter bis 2030 um zehn Prozent. Was muss konkret passieren, damit wir als Gesellschaft gut darauf vorbereitet sind?
Die demografische Entwicklung wird seit 30 bis 40 Jahren diskutiert. Deshalb fehlt mir inzwischen der Glaube, dass sich wirklich etwas Grundlegendes ändert. Für die Menschen vor Ort zählen vor allem praktische Dinge: eine gute ÖPNV-Anbindung und eine verlässliche Gesundheitsversorgung. Dabei ließe sich vieles schon mit kleinen Maßnahmen verbessern. Warum zum Beispiel gibt es nicht mehr Trinkwasserbrunnen in dicht bebauten Stadtteilen? Auch im Hinblick auf den Klimawandel müssen sich Kommunen besser aufstellen. Kliniken sowie Senioren- und Pflegeheime sollten angesichts der immer heißer werdenden Sommer mit effektiven Klimaanlagen ausgestattet sein.

Leider sieht es auf dem Wohnungsmarkt ebenfalls nicht gut aus, gerade in NRW. Welche Maßnahmen sind notwendig, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen?
Der Wohnungsmarkt muss wieder attraktiv und bezahlbar werden. Wir als VdK fordern seit Langem mehr sozialen Wohnungsbau – von barrierefreien Wohnungen ganz zu schweigen. Zur finanziellen Unterstützung sehe ich vor allem Bund und Land NRW in der Pflicht. Vor Ort müssen Initiativen entstehen, die den Wohnungsbau konkret umsetzen – etwa durch Genossenschaften oder kommunale Wohnungsbaugesellschaften. Gleichzeitig braucht es mehr Anreize für private Vermieter, in die Modernisierung und den Erhalt von Bestandswohnungen zu investieren.

Mit der Aktion „Alles geht zusammen“ wertschätzt der VdK gerade das Ehrenamt. Was braucht es darüber hinaus, um neue Engagierte zu gewinnen und langfristig zu binden?
In einer kürzlich durchgeführten Untersuchung des Landes NRW wurde festgestellt, dass der soziale Bereich bei der Ehrenamtsgewinnung nur auf Platz 6 liegt. Wir stehen in harter Konkurrenz zu Sport, Kirche und Kultur. Deshalb müssen wir das Miteinander wieder stärker in den Fokus rücken und den Menschen zeigen, wie erfüllend und wertvoll es sein kann, sich für andere einzusetzen. Vieles können wir durch unser umfangreiches Seminarprogramm auffangen – aber das allein genügt nicht. Der VdK vor Ort muss als lebendige und attraktive Anlaufstelle wahrgenommen werden.

Abschließend: Welche Vision haben Sie für die Zukunft des VdK NRW?
Wenn es um die Durchsetzung sozialer Rechte geht, bleibt der VdK für viele Bürgerinnen und Bürger die erste Anlaufstelle. Wir sind die Stimme des sozialen Gewissens in NRW – und dieser Rolle wollen wir weiterhin gerecht werden. Dafür müssen wir sichtbar, präsent und vor allem in den sozialen Medien aktiv bleiben. Nur so erreichen wir Menschen aller Altersgruppen und nehmen unser nächstes Ziel fest ins Visier: die Marke von 500.000 Mitgliedern.“

Das Interview führte Tobias Zaplata