Inklusion gelingt nur, wenn wir alle mithelfen!
Landesbehinderten- und-patientenbeauftragte Claudia Middendorf im Interview
Als Beauftragte der NRW-Landesregierung hat Claudia Middendorf (55) täglich für Menschen mit Behinderung sowie Patientinnen und Patienten ein offenes Ohr. Welche Wege und Kanäle sie nutzt, um die Inklusion und Gesundheitsversorgung zu verbessern, verrät die gebürtige Dortmunderin im Exklusiv-Interview mit der VdK-Redaktion.

Sie sind sowohl Landesbehindertenbeauftragte als auch Beauftragte für Patientinnen und Patienten. Wie lassen sich die beiden Bereiche in Einklang bringen?
Claudia Middendorf: Direkt zu Beginn meiner Beauftragung habe ich feststellen dürfen, dass diese Bereiche sich nicht nur in Einklang bringen lassen, sondern, dass die Kombination beider Bereiche einen großen Mehrwert bietet. Zunächst gibt es sehr viele Überschneidungen in diesem Bereich. Da wäre in erster Linie der offensichtliche Aspekt der barrierefreien Gesundheitsversorgung zu nennen. Darüber hinaus gibt es natürlich auch Patientinnen und Patienten mit Behinderungen oder Personen, die möglicherweise nur eine vorrübergehende Einschränkung haben. Durch die Zusammenlegung dieses Amtes, ist mir ein umfassenderer Blick und eine größere Perspektive möglich. Außerdem wurde das Amt durch die Zusammenlegung beider Bereiche in der Schlagkräftigkeit aus meiner Sicht aufgewertet.
Sie haben sich zum Ziel gesetzt, die Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu verbessern. Was sind ihrer Meinung nach die größten Barrieren, die den Betroffenen im Alltag begegnen?
Claudia Middendorf: Ich denke, das kommt ein bisschen auf die persönliche Perspektive an. Jeder Mensch ist individuell und hat unterschiedliche Bedarfe und Bedürfnisse. Daher gibt es auch Barrieren, die verschiedene Betroffene als sehr unterschiedlich bewerten. Generell würde ich aber sagen, dass es ganz allgemein noch einige sehr große Barrieren gibt, die wir abbauen müssen. Hier denke ich insbesondere an die hohen Hürden, die Menschen mit Behinderungen auf dem Weg in den allgemeinen Arbeitsmarkt gelegt werden, die Schwierigkeiten auf der Suche nach barrierefreiem sozialem Wohnraum und mangelnder Barrierefreiheit in vielen Bereichen des Gesundheitswesens.
Mit welchen Maßnahmen versuchen Sie diese Barrieren zu beseitigen?
Claudia Middendorf: Insbesondere bin ich Netzwerkerin und Fürsprecherin für die Menschen mit Behinderungen. Daher nutze ich stets alle Wege und Kanäle um auf derartige Problemstellungen hinzuweisen. Das bedeutet in erster Linie, dass ich stets den Dialog zu politischen Entscheidungsträgern, Institutionen, Verbänden und Behörden suche, um dafür zu werben, die Belange der Menschen mit Behinderungen immer im Blick zu haben.
Welche Erfolge konnten Sie dabei in den vergangenen Jahren verbuchen?
Claudia Middendorf: Ganz aktuell freue ich mich über die gemeinsame Initiative zur Stärkung der Inklusion auf dem Arbeitsmarkt Nordrhein-Westfalens, die ich gemeinsam mit Minister Laumann, Arbeitgeberinnen- und Arbeitgebervertretern, der Bundesagentur für Arbeit, dem Deutschen Gewerkschaftsbund, Akteuren des Unterstützungssystems sowie weiteren Partnern unterzeichnen durfte. Damit möchten wir Menschen mit Behinderungen den Weg in den ersten Arbeitsmarkt erleichtern und ihre Potenziale besser nutzen. Darüber hinaus haben wir in den vergangenen Jahren die Assistenzleistungen in der Gesundheitsversorgung gestärkt und wichtige Schritte im Bereich des barrierefreien Wohnraums gemacht.
Sie machen sich dafür stark, die Rechte von Patientinnen und Patienten zu stärken. Welche strukturellen Hürden begegnen Ihnen dabei, bzw. wo sehen Sie den größten Nachbesserungsbedarf in unserem Gesundheitssystem?
Claudia Middendorf: Wir haben grundsätzlich ein sehr gut funktionierendes Gesundheitssystem. Ein großes Problem besteht meiner Erfahrung nach darin, dass viele Patientinnen und Patienten nicht ausreichend über ihre Rechte informiert sind. Je besser die Patientinnen und Patienten aufgeklärt sind, desto besser funktioniert unser Gesundheitssystem. Hier sehe ich den größten Handlungsbedarf. In den vergangenen Jahren wurde an dieser Stelle schon zunehmende Aufklärungsarbeit geleistet, dennoch sehe ich hier noch Verbesserungspotential.
Auf Ihrer Seite haben Sie noch eine dritte Gruppe in den Fokus Ihrer Arbeit gestellt: die Angehörigen. In welchen Bereichen brauchen Angehörige von Patienten oder von Menschen mit Behinderung am ehesten Ihre Unterstützung?
Claudia Middendorf: Als ehemalige pflegende Angehörige meines demenziell erkrankten Vaters, kann ich mich gut in diese Personengruppe einfühlen und mir war es vor diesem Hintergrund besonders wichtig, auch die Angehörigen mit in den Fokus zu nehmen. Sie opfern sich tagtäglich für die Menschen auf, die sie lieben, werden selbst aber viel zu häufig vergessen. Am besten können wir den Angehörigen helfen, wenn wir Ihnen Mechanismen anbieten, die sie unterstützen und entlasten. Das gelingt am besten durch eine gute Aufklärungsarbeit und funktionierende Hilfesysteme.
In NRW gibt es kommunale Behindertenbeauftragte, verschiedene Organisationen, Interessenvertretungen und Dach- und Sozialverbände, wie den VdK. Welche Rolle spielt für Sie der Austausch?
Claudia Middendorf: Der Austausch ist für mich ganz besonders wichtig. Durch den guten Kontakt zu den kommunalen Behindertenbeauftragten, den Interessenvertretungen sowie den Dach- und Sozialverbänden, wird mir sehr deutlich zurückgespiegelt, an welchen Stellen die Politik aktiv werden muss. Mir ist es außerdem ein großes Anliegen, stets den Expertinnen und Experten in eigener Sache zuzuhören, denn sie können mir aus ihrer Sicht am besten mitteilen, welche Probleme bestehen und benennen, was besonders dringend verändert werden muss. Den Austausch schätze ich sehr und freue mich über die stets vertrauensvolle Zusammenarbeit.
Sie sind Beauftragte der Landesregierung und beraten diese. Wo sehen Sie in der laufenden Amtszeit den größten Handlungsbedarf? In welchen Bereichen muss NRW besser werden?
Claudia Middendorf: Grundsätzlich müssen wir die Inklusion gesamtgesellschaftlich noch mehr in den Blick nehmen. Dabei sehe ich eine ressortübergreifende Arbeit als besonders wichtig an. Außerdem muss jedem Mitglied unserer Gesellschaft klar werden, dass Inklusion nur gelingen kann, wenn wir alle mithelfen. Insofern würde ich keinen einzelnen Bereich hervorheben wollen. Wir sollten vielmehr lernen, die Teilhabe in allen Bereichen zu verbessern. Erst kürzlich wurde uns durch den Staatenprüfbericht zur UN-Behindertenrechtskonvention verdeutlicht, dass wir in allen Bereichen noch weit von den Zielen entfernt sind, die wir uns gesetzt haben. Gerade in den Zeiten vieler politischer Herausforderungen auf allen Eben, sollten wir diese Ziele aber nicht vergessen und den Staatenprüfbericht als Motivation ansehen, die Inklusion in den kommenden Jahren noch weiter zu stärken.
Das Interview führten Stefanie Becker und Tobias Zaplata
