„Sagen, was man tut, und tun, was man sagt!“ - Der Präsident des Städte- und Gemeindebunds NRW, Prof. Dr. Landscheidt, im Interview

Ob Klimakrise, Wohnungsnot oder soziale Ungleichheit – viele Herausforderungen unserer Zeit treffen zuerst die Städte und Gemeinden. Doch dort, wo das Leben spielt, wächst auch die Verantwortung. Im Interview mit unserer VdK-Redaktion spricht Prof. Dr. Christoph Landscheidt, Präsident des Städte- und Gemeindebunds NRW, über finanzielle Grenzen, das Ehrenamt, das Vertrauen in die Politik – und darüber, warum jede Stimme bei den Kommunalwahlen im September zählt.

Prof. Dr. Landscheidt, ein Mann mit dunklem Kurzhaarschnitt und Brille, sitzt in Anzug und dunkelroter Kravatte an einem Tisch in einem holzvertäfelten Saal und gestikuliert energisch.
Anlässlich der Kommunalwahl machte der Präsident des Städte- und Gemeindebunds NRW, Prof. Dr. Landscheidt im Interview deutlich, was jetzt für die Kommunen zählt.

Es heißt, Kommunen sind die „Schulen der Demokratie“ und vor Ort „spiele das Leben“. Was zeichnet die kommunale Ebene aus? 

Die Kommunen sind sehr nah an den Bürgerinnen und Bürgern. Hier werden Entscheidungen getroffen, die direkt auf das Leben der Menschen einwirken. Gleichzeitig gibt es vor der Haustür eine Vielzahl an Möglichkeiten, das eigene Umfeld selbst mitzugestalten. Das persönliche Engagement im Ehrenamt möchte ich hier ganz besonders erwähnen. 

Menschen übernehmen in ihrer Heimat Verantwortung, das fördert den Austausch und das Miteinander in der Gemeinschaft. Vor diesem Hintergrund kann man Städte und Gemeinden tatsächlich als „Schulen der Demokratie“ bezeichnen.

In vielen Kommunen fehlt bezahlbarer und barrierefreier Wohnraum. Was können Städte und Gemeinden tun, um Wohnbedarfe zu decken? 

Ein für mich sehr wichtiges Thema ist die öffentliche Wohnraumförderung. Als Städte und Gemeinden haben wir das Ohr ganz bei den Bürgerinnen und Bürgern. Das ist relevant, weil wir den lokalen Bedarf an bezahlbarem und barrierefreiem Wohnraum erkennen können. Vor Ort müssen wir dann realisierbare Wohnraumkonzepte entwickeln. 

Hier hat das Land Nordrhein-Westfalen im Jahr 2024 rund 2,3 Milliarden Euro bereitgestellt und die gleiche Summe gibt es dieses Jahr wieder. Um neuen Wohnraum zu schaffen oder zu modernisieren, sind die Kommunen zwingend auf diese Mittel angewiesen und wenn man sich den irrsinnig hohen Bedarf anschaut, reicht diese Summe ganz offensichtlich bei weitem nicht aus.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Beispielsweise war bei unserer Förderstelle im Kreis Wesel das Budget schon im Frühjahr mehrfach überzeichnet. Kein Investor wartet mehrere Jahre auf eine Förderzusage. Kreisangehörige Städte und Gemeinden müssen dazu Anträge an ihre Bewilligungsbehörde richten. Leider wird hier und dort nicht immer klar kommuniziert, wie die Zuteilungskriterien und Förderkontingente ausgestaltet sind. Das macht die Planung intransparent, bürokratisch und kompliziert.

Fragen der Mobilität suchen ebenfalls kommunale Antworten. Wie gelingt eine Mobilitätswende, die Barrieren für Menschen mit Behinderungen aus dem Weg räumt? 

Sicher ist es wünschenswert, schnell Barrierefreiheit herzustellen, wir müssen jedoch realistische sowie finanzierbare Ziele formulieren und alle Verkehrsteilnehmenden berücksichtigen. Die Mobilitätswende lässt sich nicht über Nacht bewerkstelligen. Dafür braucht es einen langen Atem. Natürlich möchten wir die besonderen Bedürfnisse der Menschen mit Behinderung in die Planung und Gestaltung von Verkehrssystemen einbeziehen. 

Auf Landesebene gibt es den Inklusionsbeirat, der zu diesen Fragestellungen berät. Zu tun gibt es genug, etwa beim Abbau von Barrieren in öffentlichen Verkehrsmitteln, an Haltestellen sowie auf Fuß- und Radwegen. Die Städte und Gemeinden tun, was sie können, um Verbesserungen umzusetzen. Die Möglichkeiten sind aber begrenzt.

Kommunen tragen Verantwortung in der Pflege, beispielsweise bei der Pflegeplanung. Wie können Kommunen zu einer guten pflegerischen Versorgung beitragen? 

In Nordrhein-Westfalen übernehmen die Kreise und die kreisfreien Städte die Pflegeplanung. Die zugehörigen Städte und Gemeinden werden dort im Regelfall angehört und das ist auch notwendig, denn sie kennen den Bedarf vor Ort am besten. Es ist elementar, dass unsere Hinweise bei der Planung berücksichtigt werden, das Angebot in der Pflege muss schließlich den örtlichen Erfordernissen gerecht werden. 

Armut ist ein großes Problem in Nordrhein-Westfalen und drängt Betroffene an den Rand der Gesellschaft. Wie können Kommunen Wege aus der Armut bereiten und dabei die Erfahrungen und Bedarfe Armutsbetroffener einbinden? 

Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Armut zu bekämpfen. Grundsätzlich haben wir die gesetzlichen sozialen Sicherungssysteme, über die auch die Kommunen finanzielle Unterstützung leisten. Da sich die Situationen von Kommune zu Kommune stark unterscheiden, kommt es darauf an, individuell richtige Lösungen zu finden – beispielsweise in der Quartiersentwicklung. 

Es braucht aber auch die Initiative und Eigenverantwortung eines jeden Einzelnen. Zudem sind Vernetzung und Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen aus dem Bildungs-, Sozial- und gemeinnützigen Bereich nötig, eine kommunale Verwaltung kann das nicht alleine schaffen. Genau das bedeutet es, wenn ich davon spreche, dass Armutsbekämpfung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.

Es wird heißer und der Klimawandel trifft ärmere und ältere Menschen besonders stark. Was können die Städte und Gemeinden tun, um Menschen zu schützen? 

Die Kommunen handeln schon, um die Auswirkungen des Klimawandels in einem möglichst erträglichen Maß zu halten. Zum einen haben viele Städte und Gemeinden Klimaschutzkonzepte entwickelt, um Treibhausgasemissionen zu senken und zum aktiven Klimaschutz beizutragen. Zum anderen reagieren Kommunen bereits heute auf die Folgen der Erderwärmung. 

Die müssen geeignete Wege finden, um die Konsequenzen extremer Hitze, Trockenheit oder Starkregen abzumildern. Das Thema Klimafolgenanpassung nimmt deshalb immer größeren Raum bei der Stadtplanung ein. Jede Kommune arbeitet mit Blick auf die Gegebenheiten vor Ort zielgerichtet darauf hin, Klimafolgen durch verschiedene städtebauliche Lösungen, z.B. Schaffung von kühlen Orten, einzudämmen. Klar ist, dass es sich bei Klimaschutz und Klimaanpassung um gewaltige Aufgaben handelt, für welche die Kommunen entsprechend ausgestattet werden müssen.

Die Kommunen stehen vor vielen Aufgaben, die auch finanziert werden müssen. Wie sieht die ideale kommunale Finanzausstattung aus? 

Es ist kein Geheimnis, dass die kommunale Ebene strukturell unterfinanziert ist. Im Jahr 2024 haben die Kommunen ein Rekorddefizit erlitten. In Nordrhein-Westfalen ist die finanzielle Lage der Kommunen so schlecht wie ich es in über 25 Jahren Amtszeit noch nicht erlebt habe. Hier muss unbedingt gehandelt werden. 

Eine Kernforderung des Städte- und Gemeindebundes NRW ist es, die Grundausstattung der Kommunen endlich wieder auf eine solide Basis zu stellen. Der Anteil an den Steuereinnahmen muss in einem ersten Schritt von 23 auf 25 Prozent steigen. Perspektivisch muss dieser auf das alte Niveau von 28 Prozent zurückkehren, andernfalls können die Städte und Gemeinden ihren wachsenden Aufgaben nicht gerecht werden.

Seit 1999 sind Sie hauptamtlicher Bürgermeister der Stadt Kamp-Lintfort im Kreis Wesel. Wie lautet Ihre Formel für gute Kommunalpolitik? 

Wenn es diese Formel gäbe, gäbe es nur Wahlgewinner. Nein, im Ernst: Wichtig ist das Vertrauen der Menschen in die Politiker und Politikerinnen vor Ort, allen voran in den Bürgermeister. Er muss die Bedürfnisse, Sorgen und Nöte kennen und sich mit ganzer Kraft für seine Stadt einsetzen. Dieses Vertrauen kann man nur gewinnen, wenn man die Bürgerinnen und Bürger „mitnimmt“, das heißt, ihnen wichtige Entscheidungen erklärt und sie daran beteiligt – auch wenn sie nicht jedem gefallen. Sagen, was man tut, und tun, was man sagt, das war schon immer ein guter Weg!   

Am 14. September findet die Kommunalwahl statt – Ihr Aufruf zum Wählengehen in einem Satz?

Mit Blick auf die Wahlerfolge der Rechtsradikalen möchte ich den früheren UN-Generalsekretär und Friedensnobelpreisträger Kofi Anan zitieren: „Alles, was das Böse braucht, um zu triumphieren, ist das Schweigen der Mehrheit!“

Das Interview führten Benedikt Lechtenberg und Tobias Zaplata