Straßenraum gemeinsam nutzen: Podiumsdiskussion zur Europäischen Mobilitätswoche
Am Dienstag den 17.09.24 trafen sich die Partner des Bündnisses sozialverträgliche Mobilitätswende im Haus der Universität in Düsseldorf, um gemeinsam darüber zu diskutieren, wie wir den vorhandenen, begrenzten Verkehrsraum in den Kommunen gerecht aufteilen können.
Den Auftakt machte Dr. Klaus Kordowski, Projektmanager bei der Stiftung Mercator. Er blickte in seiner Begrüßung auf die Gründung des Bündnisses zurück und betonte die Wichtigkeit der gemeinsamen Arbeit. Immerhin vertreten die dem Bündnis angehörigen Organisationen von BUND und NABU über VCD und ADFC, den Sozialverbänden wie VdK und SOVDkurz fürSozialverband Deutschland, dem DGBkurz fürDeutscher Gewerkschaftsbund und der evangelischen Kirche zusammen 30 Millionen Menschen in Deutschland. Lukas Stemper, stellvertretender Landesvorsitzender des NABU NRW, richtete ebenfalls einige Grußworte ans Plenum und mahnte an, Verkehrsteilnehmende bei der Straßenplanung nicht gegeneinander auszuspielen.
Schlaglichter aus dem Bündnis sozialverträgliche Mobilitätswende NRW
Wie vielfältig die Interessen und Bedarfe sind, die eine gerechte Verkehrsplanung unter einen Hut bringen muss, wurde in der anschließenden Schlaglicht-Runde deutlich, in der sechs der Bündnispartner vertretend für ihre Organisation je eine Forderung kurz und bündig auf den Punkt brachten.
Iko Tönjes vom VCD NRW richtete seinen Blick auf die Verkehrssicherheit und den ruhenden Verkehr und betonte die Wichtigkeit von Geschwindigkeitsbegrenzungen. Sein Fazit: Verkehrssicherheit braucht Raum. Lukas Stemper wies auf die mit 24% hohe Versieglung von Fläche in NRW hin und appellierte im Namen des NABU NRW für eine Entsiegelung von Verkehrsraum. Die Sprecherin des ADFC Lerke Tyra hob als positives Beispiel Kopenhagen hervor: „Lebenswerte Städte brauchen mehr Rad- und Fußverkehr“. Das sei sowohl sozial gerecht, als auch ökologisch sinnvoll und erhöhe die Lebensqualität in den Quartieren.
Unter dem Schlagwort Barrierefreiheit warb Dr. Michael Spörke vom SoVDkurz fürSozialverband Deutschland NRW für ein flächendeckendes, barrierefreies ÖPNV-Netz. Derzeit, so seine Beobachtung, würden ältere und körperlich eingeschränkte Menschen in der gleichberechtigten Nutzung des ÖPNV behindert. Einen spannenden Aspekt zum Thema geschlechtergerechte Verkehrsplanung brachte Marina Falke vom BUND NRW mit in die Diskussion. Demnach wird die herkömmliche Mobilitätsplanung den vielfältigen Lebensrealitäten und Bedürfnissen von Menschen verschiedenen Geschlechts und Alters nicht gerecht: Es fehlt an flexibleren, inklusiven Lösungen.
Zum Abschluss der Schlaglicht-Runde beleuchtete Bulut Surat vom DGBkurz fürDeutscher Gewerkschaftsbund NRW die Sicht der Beschäftigten auf die Mobilitätswende. Der Ausbau des Schienennetzes und die Investitionen in eine klimafreundliche Infrastruktur dürften nicht zu Lasten der Lokführer und Busfahrer gehen. In Zeiten des Fachkräftemangels brauche es eine faire Bezahlung der Beschäftigten im ÖPNV.
Key-Note-Vortrag aus dem Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr
Mit Udo Sieverding – Leiter der Abteilung Mobilität der Zukunft, Radverkehr, ÖPNV im Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr NRW – durfte das Bündnis einen besonderen Gastredner begrüßen. Er berichtete über den aktuellen Stand der Dinge in NRW und die Pläne der Landesregierung für die kommenden Monate.
Ein Augenmerk legte er dabei auf das Deutschlandticket, dem „größten sozialen Mobilitätswende- und Teilhabe-Projekt“. Er kündigte an, dass trotz des Erfolgs eine Preisdiskussion nicht zu vermeiden sei und ab 2025 mit einer Preiserhöhung gerechnet werden müsse. [Nachtrag: Am 23.9. wurde bekannt gegeben, den Preis ab Januar auf 58 € anzuheben]
Als Erfolg verbuchte er die Novelle der Straßenverkehrsordnung, die es den Kommunen erlaubt, Tempo 30 auch auf Land- und Bundesstraßen einzurichten, wenn der Bedarf besteht. Gleiches galt für die Ausweisung von so genannten „Schulstraßen“, die in NRW bereits in 28 Schulstraßenprojekten realisiert wurde. Es sei davon auszugehen, so Sieverding, dass weitere Kommunen folgen, wenn sie sehen, dass es in den Nachbarstädten erfolgreich funktioniert.
Podiumsdiskussion mit Publikumsbeteiligung
Moderatorin Lisanne Pucher bat einige der Redner anschließend zur Diskussion auf die Bühne. Neu dabei Michael Milde, Referent für Verkehrsplanung und Infrastruktur bei der AGFS NRW. Er bestätigte, dass das Thema Mobilitätswende hochkomplex und hochemotional sei. Er warb im Namen der AGFS für Lückenschlüsse der Rad- und Fußverkehrsnetze.
Eine Mobilitätswende gelingt nur, wenn alle mitmachen
Einig waren sich alle darin, dass auch die Zivilgesellschaft mit in die Verantwortung gezogen werden muss. Laut Milde bedarf es eines engen Dialogs mit der Bürgerschaft: Straßenraum ist ungleich zu Gunsten des Autoverkehrs verteilt, die Städte bebaut. Der vorhandene Raum müsse zugunsten des Umweltverbundes umverteilt werden. Nicht kurzfristig, aber mit mittel- oder langfristiger Perspektive. „Dafür braucht es den engen Austausch und die Beteiligung von Anwohnern, Bürgern, Kommunalpolitik und Verwaltung.“
Dem widersprach BUND-Sprecherin Marina Falke: „Wir stecken inmitten einer Klimakrise. Wir haben nicht die Zeit in Ruhe mit allen Akteuren einen Konsens zu finden.“ Sie wies auf das gesetzte Ziel von 25% Radverkehr bis 2030 hin und empörte sich darüber, dass es kein Geld fürs Deutschlandticket gäbe, aber immer noch massiv Investitionen in klimaschädliche Sektoren.
Wo bleibt die soziale Gerechtigkeit in der Debatte?
Von Benedikt Lechtenberg, Referent für Sozial- und Kommunalpolitik beim VdK NRW, kam die Frage, wo die Gerechtigkeit in der Debatte bleibe? Menschen mit geringeren Einkommen wohnen meist in den von Verkehr und den damit verbundenen Gesundheitsschäden besonders betroffenen Gebieten. Und auch die Barrierefreiheit sei längst noch nicht erreicht. Hier dürfe nicht gespart werden.
Letzteres bestätigte auch Petra Nöhre, stellvertretende Vorsitzende des VdK-Kreisverbands Neuss. Ein schneller Radwege-Ausbau mit faulen Kompromissen bei der Fahrspurbreite sei keine Lösung. Menschen mit Dreirad, Handybike oder Tandem fallen da wieder durchs Raster. AGFS-Sprecher Milde stellte klar, dass das natürlich langfristig keine Lösung sei, aber vielleicht für den kurzfristigen Übergangs-Lückenschluss.
Parkplatz frisst Verkehrsraum
Ein Aspekt, der in der Diskussion immer wieder aufkam, war das Thema Parkraum. Milde verwies auf Externer Link:eine aktuelle Studie der Agora Verkehrswende. Demnach wird in Deutschland immer weniger Auto gefahren, es gibt aber immer mehr Autos. Das bedeutet: Immer mehr Autos stehen die größte Zeit des Tages leer herum und verstopfen den Straßenraum, sodass sogar Feuerwehr und Müllabfuhr nicht mehr durchkommen. Dabei, so Milde, sind Parkplätze städtische Flächen. Ein Parkplatz von rechnerisch 14m² koste eine Kommune durchschnittlich 2000€ jährlich. Kosten, die in vielen Kommunen nicht über Bewohnerparkausweise oder ähnliches an die Benutzer weitergegeben werden.
Tempo runter, Wohnqualität rauf
Auch die Frage nach Geschwindigkeitsbegrenzungen landete auf dem Debattentisch. Fakt ist, eine Reduzierung auf Tempo 30 bedeutet Lärmhalbierung und eine deutliche Verbesserung der Luft und Anwohnerqualität. VCD und ADFC befürworten daher schon länger Tempo 30 im gesamten Stadtgebiet.
Milde verwies außerdem auf eine Sozialstudie zur Temporeduzierung. Demnach treffen sich Kinder in Tempo-30-Straßen und verkehrsberuhigten Bereichen deutlich häufiger mit Nachbarskindern der anderen Straßenseiten, als an Tempo-50-Straßen oder Schnellstraßen. Unabhängig davon ob Querungen vorhanden sind oder nicht. Außerdem bedeutet eine Reduzierung auf Tempo 30 im Schnitt 30-40% weniger Verkehrstote.
Zum Abschluss des Abends gab es für die rund fünfzig Gäste aus dem Publikum noch die Gelegenheit bei einem zwanglosen „Get-Together“ mit den Diskussionsteilnehmern ins Gespräch zu kommen und Fragen zu stellen.