Kategorie Ortsverband Benrath-Garath

Strukturen müssen überdacht werden - Nachwuchsmangel in den Vorständen

Am Tisch sitzt der Vorstand
© p.ries

Strukturen müssen überdacht werden

Vereinsvorstände klagen über Nachwuchsmangel

von Peter Ries

Vereine sind eine tragende Säule des Gemeinwesens. Sie spielen eine wichtige Rolle für die Bindung und Aktivierung bürgerschaftlichen Engagements. Jedoch stehen in der heutigen schnelllebigen Zeit des 21. Jahrhunderts fast alle Vereine vor dem Problem, ihre Vorstandspositionen mit ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen (neu) zu besetzen.

Obwohl in Deutschland fast Jede/r zweite Mitglied in einer Organisation oder einem Verein ist, mögen die wenigsten sich in einer Schlüsselposition ihres Vereins betätigen. Zum einen mag es an die schier unerschöpflichen Alternativen zum freiwilligen Engagement liegen, zum anderen an die oft starren Strukturen und Regeln eines in vielen Jahren gewachsenen Vereins.

Fernsehen, Handy, Internet, Computerspiele und kommerzielle Angebote wie Diskotheken, Gaming-Partys oder Fitnessclubs stehen bei vielen jüngeren Mitmenschen im Vordergrund ihrer Interessen, als sich zum Beispiel ehrenamtlich zu engagieren. Das soll nun nicht bedeuten, dass es keine jungen Ehrenamtler*innen in Deutschland gibt.

Fast 30 Millionen Deutsche, rund 40 Prozent der über 14-Jährigen, engagieren sich laut Stern freiwillig. Sie kümmern sich dort, wo der Staat wegschaut. Und sie machen das, ohne dafür ein Gehalt zu bekommen. Forscher der Uni Münster und der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW haben in einer 2020 veröffentlichten Studie berechnet, dass Ehrenamtliche allein in Nordrhein-Westfalen knapp 700 Millionen Arbeitsstunden im Jahr für das Gemeinwesen leisten. Beim Bruttodurchschnittslohn von 17,89 Euro pro Stunde in NRW ergibt das einen wirtschaftlichen Wert von 12,5 Milliarden Euro. Die Zahlen der Freiwilligen schwanken heute jedoch mit einer starken Tendenz nach unten.

Strukturen müssen überdacht werden

Fragt man die jungen Menschen, warum sie sich ehrenamtlich engagieren, sind die Antworten vielfältig. Fragt man sie jedoch, was sie von einem ehrenamtlichen Engagement in einem Verein abhalten würde, wird deutlich, dass sie zwar mitbestimmen und Verantwortung übernehmen würden – es aber zum Beispiel zu viele veraltete Regeln gebe. Und genau hier müssen die Vereinsvorstände einhaken.

Um junge Menschen für ein Ehrenamt zu begeistern und sie zu binden, müssen die Vorstände sich stets fragen, ob ihre bestehenden Regeln und Strukturen noch zeitgemäß sind und an welcher Stelle sie für alle verträglich nachgebessert oder angeglichen werden können - ohne gesetzliche Vorgaben und notwendige Regeln zu verletzen. Denn jeder Verband oder Verein ist gewissen gesetzlichen Vorgaben unterworfen. So kann beispielsweise ein Sozialverband wie der VdK - der Senioren und behinderte Menschen berät - nicht einfach die Regeln ändern, um mehr Mitglieder oder Ehrenamtliche zu gewinnen. Das soll nicht bedeuten, dass alles so bleiben - und man zukünftig auf die jungen Menschen verzichten - muss. Im Gegenteil: Gerade sie werden gebraucht, um zu verhindern, dass unsere Vereine überaltern oder gar schlichtweg dichtmachen müssen.

Das haben wir immer so gemacht

Es ist daher für alle (langjährigen) Vorständen von Vereinen und Organisationen unerlässlich, den jungen Menschen die Hand zu reichen, sie bei der Stange zu halten und sie für ein dauerhaftes Engagement im Verein zu begeistern. Die Vorzüge für die jungen Menschen liegen auf der Hand: Sie lernen von erfahren Menschen und profitieren beruflich und privat von ihrem erworbenen Wissen. Sie haben die Chance etwas Sinnvolles für sich und die Gesellschaft zu leisten. Sie dürfen – ja, sie sollen mitreden und mitbestimmen, damit sich ein Verein weiterentwickeln kann; durch sie und nur mit ihnen können Vorgaben, starre Konzepte, Strukturen und Prozesse - die sich allzu oft in den Köpfen vieler langjähriger Vereinsvorstände verankert haben - überdacht und ggf. geändert werden.

Mit Alibi-Begründungen wie, „Das haben wir schon immer so gemacht“ oder „Das geht nicht“, kann sich heute kein Verein und keine Organisation mehr dauerhaft positionieren; was gestern gut und richtig war, muss heute nicht unbedingt auch gut und richtig sein. Darum muss der Erhalt eines Vereins oder einer Organisation stets im Vordergrund aller Bemühungen der Vereinsvorstände stehen. Strukturen, Regeln und Prozesse müssen auch außerhalb der Vorstandssitzungen stets hinterfragt, überdacht und ggf. angepasst bzw. korrigiert werden.

Kein Platz für Eigenbrötler

Damit das gelingt, müssen die älteren konsequent jede Gelegenheit ausschöpfen, um ihre Erfahrung und ihr Wissen rechtzeitig an die jüngeren (Nachfolger) weiterzugeben. Sie müssen ihre Signale erkennen und ihnen eine hilfreiche Hand sein. Viel zu häufig lässt sich beobachten, dass sich Ehrenamtliche in Schlüsselpositionen als das Alpha und das Omega des Vereins verstehen und sich zu regelrechten Eigenbrötlern entwickelten. Sie lassen niemanden in ihre „Karten“ schauen und unterliegen dem Trugschluss, dass der Verein ohne sie dazu verdammt sei, unterzugehen. Da ist etwas Wahres dran. Denn wenn sie es unterlassen haben, jemanden rechtzeitig für eine Mitarbeit und eventuelle Nachfolge zu begeistern, weil sie sich nicht in die „Karten“ haben schauen lassen, kann ein Verein spätestens dann den Bach heruntergehen, wenn die Schlüsselposition aus Krankheits- oder Altersgründen vom bisherigen Amtsinhaber nicht mehr besetzt werden kann. Die Vorstände müssen bereit sein, diese große Herausforderung anzunehmen, und lieb gewonnene Konzepte, Strukturen und Prozesse zu überdenken. Kein Vorstand handelt gut, wenn er es unterlässt, sich rechtzeitig um die Nachfolge zu kümmern, oder glaubt, unersetzbar zu sein.

Verantwortung übernehmen

Die Vereine können zwar den Wandel in unserer Gesellschaft nicht verändern, dennoch liegt es in ihren Händen, ihre Rahmenbedingungen und Strukturen so anzupassen, dass sich wieder mehr Menschen für ein Vorstandsamt interessieren. Eine aktive und gezielte interne wie externe Suche nach Vorstandskandidat*innen und die Förderung der jüngeren Mitglieder sind unerlässlich für die erfolgreiche Gewinnung von Menschen, die Verantwortung übernehmen und sich zum Beispiel in einem Vorstand engagieren wollen, weil sie sich für die Sache des Vereins begeistern.

Dritte Kraft im Staate

Einen hohen Stellenwert nimmt hier auch die "Belobigungskultur" ein. Ein Vereinsvorstand der es unterlässt, seine Mitglieder für ihren Einsatz beizeiten zu belobigen bzw. auszuzeichnen, darf nicht verwundert sein, wenn die Bereitschaft - sich zu engagieren - nach lässt oder gänzlich verloren geht. Die „Nachkriegsgeneration“ in den Vorständen tritt ab. Eine neue Generation ist nachgewachsen. Diese müssen interessiert und bei den Wahlen der Vorstände mit einbezogen werden. Das gilt auch für Menschen mit Migrationshintergrund, die sich zum größten Teil einem ehrenamtlichen Engagement noch verschließen.

Editorial

Das Ehrenamt hat sich - wie die Staatstheoretiker des ausgehenden 19. Jahrhunderts - John Locke, Charles Montesquieu oder Alexis de Tocqueville bereits als notwendig sahen - zur "dritten Kraft" in unserer demokratischen Gesellschaft entwickelt. Heute ist das Ehrenamt nicht nur die „dritte Kraft“ im Staate, sondern auch der Schmierstoff zwischen Staat und Bürgern. Er schließt so manche Lücken im sozialen Gefüge und oft werden Lücken dort gestopft, wo der Staat sich gänzlich zurückgezogen hat.

Fast 30 Millionen Deutsche, rund 40 Prozent der über 14-Jährigen, engagieren sich 2020 in NRW freiwillig, ohne dafür ein Gehalt zu bekommen. Sie leisteten 2020 allein in Nordrhein-Westfalen knapp 700 Millionen Arbeitsstunden im Jahr für das Gemeinwesen. Beim Bruttodurchschnittslohn von 17,89 Euro pro Stunde in NRW ergibt das einen wirtschaftlichen Wert von 12,5 Milliarden Euro.

-p.ries-